Das Chile-Mural der Universität Konstanz

Beim Audimax der Universität Konstanz hängt eine besonders geschichtsträchtige chilenische Wandmalerei.

Dieses Mural wurde am 25. April 1977 von der Exilbrigade Salvador Allendes gemalt, während eines Konzertes von Quilapayún, die im überfüllten Audimax Lieder der Nueva Canción Chilena spielten.

Das 1,70 x 8,10 Meter große Mural thematisiert den Freiheitskampf des chilenischen Volkes. Im Zentrum des Bildes schaut eine Frauenfigur mit entblößter Brust die Betrachtenden direkt an. Die nach rechts wehende Hälfte ihrer langen Haare formt die chilenische Flagge. Sie erinnert an Eugène Delacroix’ Personifizierung der Freiheit in La Liberté guidant le peuple (1830). Ihre Strähnen gehen in eine Arbeiterfigur über, diese umarmt einen Fabrikschornstein. Links im Bild gehen die Haare der Frauengestalt in den Schopf einer Männerfigur über. Ihr Gesichtsausdruck wirkt entschlossen, passend zu der übergroßen Faust, die ebenfalls nach links gerichtet ist. Ihre Hände und die Hände der Figur in der Mitte, die in orange gehalten sind, schließen sich zusammen. Neben dem Antlitz des Mannes ist eine weiße Taube zu sehen, die an die Taube von Pablo Picassos Guernica (1937) erinnert. Unter derselben Gestalt ist ein hellblauer Globus mit Pergamentrolle abgebildet; sie symbolisiert die Wichtigkeit der Bildung und Geschichtsschreibung.

Am 11. September 1973 bombardierte das Militär auf Befehl von Augusto Pinochet den Regierungspalast La Moneda, putschte die Regierung des demokratisch gewählten, sozialistischen Präsidenten Salvador Allende, und etablierte eine Militärdiktatur, die bis 1990 andauerte. Viele Chilen*innen wurden verhaftet, gefoltert, verschwanden für immer, zudem flohen viele ins Exil.

Die Universität Konstanz nahm mehrere exilierte Chilenen auf: Mario Duran Vidal (Soziologe), Eduardo Arancibia Delâno (Philosoph/Soziologe), Alicia Dominguez Diaz (Professorin für Statistik), Benjamin Suárez Isla (Chemiedoktorand), und Francisco Otey (Jurist). Das „Chile-Komitee Konstanz“ unterstützte die Exilierten unter anderem bei den langwierigen Verhandlungen über die Aufenthaltserlaubnis mit dem Stuttgarter Innenministerium.

Mehr erfahren

Konstanzer und chilenische Studierende und DozentInnen gründeten eine Singegruppe, die überall in Baden-Württemberg Lieder der Nueva Canción Chilena sangen und damit zu Vermittlern einer Chilenischen und geteilten Geschichte wurden. Am 25. April 1977 organisierten sie ein Konzert mit der chilenischen Band Quilapayún, die sich zur Zeit des Putsches auf Europatournee befand und bis 1988 im Exil bleiben musste. Während ihres Konzerts im Audimax der Universität Konstanz malten ihre exilierten Landesleute der Brigade Salvador Allende das Mural auf Leinwand, das bis heute auf der A7-Ebene hängt.
 

Mehr erfahren

In der Brigade Salvador Allende hatten sich Mitte der 1970er Jahre Exilchilen*innen in Frankfurt zusammengeschlossen. Bis 1980 malten sie etwa 100 Murales auf den Straßen, in Kirchen, Universitäten (Bielefeld, Münster, ...), Jugendzentren und Theatern in diversen Städten in West-Deutschland, Frankreich, der Schweiz, und der ehemaligen DDR. Als Kollektiv ist die Gruppe wohl mit den bekanntesten Vertretern des chilenischen Muralismo, die Brigada Ramona Parra (BRP), verwandt. Als bedeutende politisch-künstlerische Bewegung, prägte die BRP den urbanen öffentlichen Raum mit ihren farbenreichen Murales zu soziopolitischen Themen.

Der Höhepunkt ihres Schaffens situiert sich während der Präsidentschaftskampagne für Salvador Allende und danach während seiner Regierung. Nach dem Putsch wurden die Murales von der Militärdiktatur entfernt und die Muralisten in die Klandestinität gezwungen.  Während den letzten Jahren kamen die Brigadas verstärkt zurück, und führten Kampagne zum Beispiel für die Präsidentschaft von Gabriel Boric, gegen die Gewalt auf Frauen, oder für das Apruebo, die Annahme des neuen Verfassungsentwurfs.

Mehr erfahren

Obwohl das Mural der Universität Konstanz immer gut sichtbar auf der A7-Ebene beim Audimax hing, war seine facettenreiche Geschichte lange in Vergessenheit geraten. Im Sommersemester 2017 wurde das Konstanzer Chilemural zum Thema in einem Seminar der Romanistin Sandra Rudman. Zusammen mit den Studentinnen, tauchten sie in den Universitätsarchiven und rekonstruierten sie die Geschichte, die Sie gerade lesen konnten.

Mehr erfahren

Sie knüpften den Kontakt mit Boris Eichin der Brigade Salvador Allende, und mit Benjamin Súarez, den damals als exilierter Chilene an der Universität Konstanz, die Initiative des Konzerts genommen hat. Das Mural wurde vom 17 bis 21. Juli 2017 unter Leitung von Boris Eichin, und zusammen mit seinem Sohn Andrei Eichin restauriert. Die Restauratorin Rosa Maria Pittà-Settelmeyer der städtischen Museen Konstanz begleitete diesen Prozess. Die Einweihungsfeier am 21. Juli 2017 zelebrierte die offizielle Anerkennung des bedeutenden Murals für die Universität Konstanz in dessen 40. Jubiläumsjahr. Wie damals, wurden dazu Lieder der Nueva Cancion Chilena gespielt, diesmal durch das Trio von Musikandes.

Mehr erfahren

Kunst im Exil, Erinnern und Vorausblicken - Chile und Konstanz 1977-2017

Mehr erfahren

*Ehem. Rektor Prof. Dr. Dr. h.c.c Ulrich Rüdiger, Dr. Dagmar Schmieder, Rosa Pittá-Settelmeyer (Restauratorin, Stadt Konstanz), Prof. Dr. Kirsten Mahlke, Dr. Carolina Pizarro, Boris Eichin, Brigade Salvador Allende, Andrei Eichin, Benjamín Suárez, Prof. Dr. Beate Ochsner

*den Studentinnen des Projekts: Joanne Rodriguez, Bettina Bliss, Raphaela Breisch, Mareike Buck, Anna Dachs, Ana Ramírez Hinojosa, Caroline Wuttke

*den MusikerInnen von Musikandes, der Photographin Javiera Santos und an dem Filmenden Lukas Burg